Der gestrige Tag mit seiner beeindruckenden Rally in den letzten 45 Minuten der Handelszeit an der Wallstreet, hat für uns zwei wichtige Lehren parat, die wir uns alle unbedingt vergegenwärtigen sollten. Damit beantworte ich indirekt auch ein paar Fragen und Kommentare.
Lehre 1 – Gedankliche Flexibilität und opportunistische Haltung
Gestern um 21.15 Uhr war die Welt mit meiner alten, kurzfristigen Strategie noch völlig im Reinen. Es sah alles, wirklich alles nach dem Absturz bis ca. 1000 im S&P500 aus. Der Markt konnte die 1100 nicht halten und näherte sich den Tagestiefständen, die 1080 waren schon erreicht. Im DAX war alles blutrot mit -10% bei großen Werten. In all den Tagen davor, war die letzte Stunde besonders schwach. Viel sprach also dafür, dass der Markt nun zusammen bricht. Und unzählige Profis hatten aggressive Short Wetten im Markt. Dann kam dieses gewaltige Kaufprogramm und als Folge davon wurden alle diese Shorts aus ihren Positionen gepresst und wir hatten einen gewaltigen Shortsqueeze der uns 4% in 45 Minuten nach oben bewegt hat. Dazu hier noch einmal das eindrucksvolle Chartbild der US Indizes:
Es ist völlig egal was das Kaufprogramm ausgelöst hat, möglicherweise hat ein klug programmierter Algorithmus eines der BigBoys diese Menge an Shorts gesehen, eine Gelegenheit erkannt und mit genügend Kapital versucht, genau diesen Squeeze auszulösen. Möglicherweise hat ein dumm programmierter Algorithmus eine Headline aus Europa getradet, obwohl es eigentlich gar nichts zu traden gab. Völlig egal. Aber sobald sich der Wurm gedreht hatte und nach oben ging, mussten alle Marktteilnehmer mit und haben diese Bewegung möglich gemacht. Um 21.15 Uhr hatte ich also eine kurzfristige Strategie. Um 21.45 Uhr, als ich sah mit wie viel Momentum wir durch die 1100 durch gingen, habe ich diese Strategie ohne zu zögern fallen gelassen. Und um 22.15 Uhr gestern war mir klar, dass eine Bewegung dieser Dynamik das Potential hat kurzfristig zu weiteren Käufen zu animieren, die Rally also heute und morgen noch Potential hat.
Ich habe also innerhalb einer Stunde meine kurzfristige Sicht auf den Markt um 180 Grad gedreht. Nicht weil meine Analyse vorher falsch war, die würde ich jederzeit wieder so machen, sondern weil mir der Markt einen klaren Hinweis gegeben hatte. Und ich habe gelernt auf diese Hinweise demütig und unverzüglich zu reagieren. Ein weniger erfahrener Marktteilnehmer würde in dieser Situation dazu neigen, seine alte Position gedanklich zu verteidigen und daran festzuhalten. Und als Folge dabei viel Geld verlieren. Und wenn er dann endlich nach Tagen bereit ist die veränderte Welt zu akzeptieren, dann dreht Mr. Market schon die nächste Pirouette die einen wieder auf dem falschen Fuß erwischt. Ich denke wir alle haben das schon mal genau so erlebt, oder ?
Die Lehre ist also, große gedankliche Flexibilität ist ein Muss ! Und eine opportunistische Haltung, die demütig akzeptiert, was uns Mr. Market vorsetzt und nicht versucht zur Befriedigung des eigenen Egos die eigene Meinung zu verteidigen. Wenn Mr. Market eine solche Rally hinlegt, dann hat das Folgen. Schon alleine weil nun andere versuchen an den Folgetagen auch auf den Zug zu springen. Genau das passiert heute und wahrscheinlich auch Morgen. Und es kann gut sein, dass die Rally sachlich ohne Grund, ungerechtfertigt und einfach nur Ausbund des psychopathischen Verhaltens von Mr. Market ist. Das ist aber völlig egal und keinen Gedanken wert. Die Rally ist da und deshalb real. Wer Geld verdienen will, muss sich schnell anpassen oder der Markt walzt ihn platt.
Das ist auch die Schwierigkeit von öffentlichen Voraussagen in so Blogs wie hier. Und deswegen mache ich sie sehr ungern ! Wer das gestern nicht direkt erlebt hat, kann nicht verstehen, warum ich innerhalb einer Stunde meine Sicht anpasse. Gestern hat der Hari noch von S&P500 bei 1000 geredet und heute von 1150 – der spinnt doch. Und wie hätte ich jemanden warnen sollen, dass sich meine Sicht geändert hat ? In den 45 Minuten in denen auch ich nur damit beschäftigt war meine Positionen anzupassen ? Wer das verstanden hat, wird mich nicht mehr fragen was ich morgen vom Markt erwarte. Denn der weiß, dass meine Meinung schon eine Stunde später anders sein kann. Wer erfolgreich sein will, muss lernen eine eigene Meinung zu entwickeln. Anders geht es nicht. Immer schön gedanklich flexibel bleiben!
Lehre 2 – Zeithorizont
Damit sind wir auch beim zweiten typischen Fehler den zu Viele an der Börse machen. Sie sind sich nicht über den Zeithorizont im klaren in dem sie agieren ! Mit schrecklichen Folgen für das eigene Depot. Denn man muss ja gar nicht so kurzfristige Richtungswechsel mitmachen wie ich. Man kann auch langfristig denken und kann dann solche Tage wie gestern einfach ignorieren. Nur dann muss man auch langfristig handeln !
Typisches Szenario: Max Müller liest in einer Anlegerpostille einen Artikel, der eine Aktie als unterbewertet und “Schnäppchen” anpreist. Das überzeugt Max Müller, unter anderem weil es viele gute langfristige Argumente gibt, warum das Geschäftsfeld zukunftsträchtig ist und langfristig wachsen wird. Max Müller kauft also, ohne sich mit der kurzfristigen Markttechnik des Titels zu beschäftigen, er könnte das auch gar nicht, weil ihm die Techniken dafür fehlen. Genau 24 Stunden lang fühlt sich Max Müller nun wie Warren Buffet und als kommender “Value-Investor”. Dann, am nächsten Tag, fällt der Titel um 5%. Am Tag darauf wieder um 4%. Und so weiter. Zunächst wird Max Müller es nicht glauben, aber nach 20% Verlust und einer Woche später dann entnervt verkaufen und seiner Frau sagen: die Börse spinnt doch, ich rühre keine Aktie mehr an. Erkennt sich jemand wieder ? Ich mich schon, diese Fehler habe ich Anfang der 90er Jahre auch gemacht.
Die Börse spinnt aber keineswegs, Max Müller ist einfach nur unfähig. Er kauft eine Aktie aus langfristigen Erwägungen, springt dann aber nach Tagen raus, weil ihn ein kurzfristiger Verlust überrascht, über den er sich vorher keine Gedanken gemacht hat. Das kann nicht gut gehen ! Wenn man sicher gehen will in der nächsten Woche nicht 10% zu verlieren, muss man sich zwingend auch mit kurzfristigen Fragen auseinandersetzen und die Techniken dafür beherrschen.
Und damit sind wir wieder beim 04.10.11 und der Frage an mich, wie ich die weitere Entwicklung sehe. Ich kann diese Frage so nicht beantworten. Ich gebe die Antwort daher auf meine Weise:
Kurzfristig hat diese Rally Potential uns noch weiter nach oben zu bringen. Morgen (Donnerstag) könnte auch noch gut werden, dann dürfte der Schock-Effekt dieser Rally langsam auslaufen und die Bären langsam wieder ihre Krallen wetzen.
Mittelfristig sind wir immer noch in einem Abwärtstrend. Nichts hat sich daran bisher geändert. Es ist immer noch wahrscheinlich, dass wir noch neue Tiefststände sehen.
Langfristig haben wir in vielen Aktien Kaufkurse. Langfristig ist es egal, ob man VW für 87 oder 93 gekauft hat, es sind beides wohl gute Kurse.
Das ist meine Sicht heute 05.10.11 um 21.15 Uhr während ich das schreibe. Aber bitten erwarten Sie nicht, dass ich diese Sicht auch zwingend in 24 Stunden noch habe. Gerade die kurzfristige Sicht kann sich schnell ändern. Die wichtige Lehre ist also: man sollte unbedingt den Zeithorizont seines Handelns mit dem Zeithorizont der Anlagestrategie in Einklang bringen. Wer das vergisst, wird Geld verlieren.
Mr. Market interessiert sich nicht für unser Ego. Und uns sollte es auch nicht interessieren. Wir sind an der Börse um Erfolg zu haben, nicht um Recht zu behalten !
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Was ich bei euch eben besonders lobenswert finde, ist ja eben eine sehr analytische, subjektive Einschätzung des Marktes.
Und wenn man in der dritten Liga spielt dann kann man von Spielern aus der ersten schon was lernen, wenn man sich die Mühe macht.
Grundsätzlich geht es immer um Wahrscheinlichkeiten auf den drei Zeitebenen: kurzfristig, mittelfristig, langfristig.
Und so war vorgestern Abend das Szenario von Hari das es noch weiter runtergeht, mit einer tendenziellen Wahrscheinlichkeit von 50% noch intakt.
Und während ich mit meinem Baby schon im Bett war, wurde dieses Szenario vom Markt kaputt gemacht. So etwas kann niemand vorher sehen!
In diesen Zeiten hätte das auch irgendeine politische Entscheidung oder Meinung auslösen können, wie wir in der Vergangenheit gesehen haben, kann dann ein bullishes Szenario sehr schnell kippen.
Die Strategie-Anpassung ging dann aber auch gestern Morgen noch ganz gut. Ich würde sogar sagen, daß der Dax es den Shorties recht leicht gemacht hat.
Natürlich geht es immer um subjektive Einschätzungen und natürlich ist es wichtig aus der Vielzahl dieser Meinungen eine eigene Strategie zu entwickeln.
Es geht aber wohl auch darum, diese Vielzahl von Marktmeinungen zu filtern und für sich selbst zu bewerten.
Und eure Analysen haben auf diesem großen Feld für mich einfach eine sehr hohe Bedeutung.
Am Ende bleibt es ein Spiel mit Wahrscheinlichkeiten und einem guten Timing, einzig daß es Volatil bleibt, hmmmm, ist fast schon keine Wahrscheinlichkeit mehr sondern Fakt!
Euch allen gutes Handeln!
Hari i geb dir recht! Ein trader der seine Meinung äußert! Auf lange Sicht ! Deswegen find i es auch toll eure Meinung zu hören (kurzfristig) u i werde mich genauso wie andere dann die eigene Meinung bilden! dennoch bin i sehr froh euch zu haben damit i die ein u die andere meinung bestätigt zu haben ;))))) gn
Hari, mir ist es nicht wichtig, dass mit jemand sagt in welche Richtung es konkret mit dem DAX oder S&P500 morgen, naechste Woche oder bis Weihnachten geht. Im Sinne von, morgen steigen Aktien auf jeden Fall weil ‘insert text here’. Viel interessanter und wichtiger ist, dass mir jemand aufzeigen kann, welche Optionen der Markt hat. Dh, das mit einige Szenarien aufgezeigt werden, die eintreten koennten(!). Ich finde, dass ist dir im Artikel “DAX und S&P 500 Marktausblick – Der Tag der Wahrheit” und dem dortigen Kommentar #9 besonders gut gelungen, und auch in “Marktausblick S&P 500 – kommt die Jahresend-Rally ?”. Sich Szenarien auszudenken gelingt mir mit meiner mittleren Kleinanlegererfahrung einfach (noch?) nicht.
Welches der Szenarien dann letztlich das fuer mich (!) das beste ist, das entscheide ich dann gerne wieder selber.
Meine Sichtweise war zum Beispiel, dass der S&P500 nicht geradewegs bis 1000 Punkte runtergeht, weil das viel zu schoen um wahr zu sein gewesen waere. Viel zu idealtypisch (da haette man so schoen einkaufen koennen), und das macht der Markt meiner Erfahrung eigentlich nie. Aber gut, im Nachhinein hat jeder Recht… und die 1000 koennen ja immer noch kommen 🙂
Und: wenn du immer mal wieder ein bischen “Markttechnik” erklaeren koenntest, so wie in deinem Kommentar vom October 4th, 2011 at 10:47 pm, dann waere das sehr willkommen & lehrreich!
Gruss, Hans
Das ist auch völlig in Ordnung Tom. Und auch ich lese ja andere Blogs, deren Meinung ich respektiere. Die Summe dieser gelesenen Meinung von Perma-Bullen bis tiefschwarzem Bären fliesst dann neben der Markttechnik in mein Meinungsbild ein. Entscheidend ist aber, dass man niemandem blind hinterher läuft, sondern lernt ein eigenes Bild vom Markt zu entwickleln. Ohne das wird sich kein langfristiger Erfolg einstellen.
PS: und wer sich reisserisch “Mr. Dax” nennen lässt, weil er als kleiner Händler zufällig an der richtigen Stelle für die Kameras sass und seinen telegenen Bart zwirbeln konnte, gehört deswegen noch nicht zu der Liste der von mir respektierten Trader 😉
Wobei der Müller ja ganz vernünftige Ansichten hat und auch angenehm lesbar schreibt. Aber für mich zu sehr an der Oberfläche. Das ist mehr was für Einsteiger, für die aber durchaus lesenswert. Und Müllers Geschäftssinn ist aller Ehren wert, ich ziehe meinen Hut davor, wir er die Chance ergriffen und sich selber vermarktet hat.
geb dir vollkommen recht! es ist wie du es geschrieben hast! besonders in diesen zeiten ist es aber “gott sei dank” auch verständlich das viele anleger die frage an dich bzw lars stellen wie eure einschätzung aktuell ist! ihr beide habt mehr erfahrung u ich freu mich jeden tag über eure einschätzung!!! habt ihr mal das buch “crashkurs” gelesen von mr dax??!! gruss t