Wir haben hier in den letzten beiden Tagen im wesentlichen über Politik diskutiert, was in Anbetracht des „Ei“ das uns Herr Papandreou allen gelegt hat auch durchaus angemessen ist.
Ich sehe aber die Gefahr, dass diese berechtigten negativen Sichten auf die politische Lage – die auch ich ja eindeutig habe – nun eins-zu-eins in Investitionsentscheidungen umgesetzt werden und das halte ich für einen Fehler.
Deswegen möchte ich mit diesem Beitrag – so rational wie möglich – Politik und Anlageentscheidungen gedanklich entflechten.
1. Papandreou hat Europa und unseren Depots tatsächlich keinen Gefallen getan. Denn nach dem EU Gipfel war eine glaubwürdige Grundlage geschaffen, auf der man aufbauen konnte. Der Markt war zur Jahresendrally bereit und auch die institutionellen Anleger wären wohl bereit gewesen auf einer stabilen Grundlage wieder zu investieren. Dieses Szenario ist nun – zumindest bis zur Volksbefragung – definitiv vom Tisch ! Vom Tisch ist aber damit keineswegs die Möglichkeit einer Rally, sondern nur das ruhige, verlässliche Hochschieben das wir Ende 2010 hatten. Sicher ist, die brutale Volatilität mit Swings um mehrere Prozent an einem Tag bleibt uns nun erhalten. Papandreou sei es gedankt.
2. Der Markt hat trotz aller Verluste aber auf den Einschlag vernünftig und konstruktiv reagiert. Wir haben im DAX die 5700 gehalten und haben daher nur einen Reset auf die Zeit kurz vor dem EU Gipfel durchgeführt, wir sind aber nicht in die Panik der Monate August und September zurück gefallen. Das ist eindeutig Positiv ! Der Markt honoriert also die nun gezeigte Einigkeit und vor allem Ernsthaftigkeit in der EU und auf dieser Ernsthaftigkeit basiert kurstreibende Hoffnung. Erst wenn sich Frankreich und Deutschland zerstreiten würden oder die EU Politik wieder in das inkonsequente Handeln des letzten Jahres zurück fallen würde, würde das Mr. Market wohl zum Anlass nehmen wirklich abzutauchen und die Tiefststände zu testen.
3. Durch die beiden Abtaucher des DAX bis 5000 ist der Markt im DAX technisch vollständig bereinigt. Erste schwache Hände die nun nach dem Gipfel auf den Zug aufgesprungen sind, sind durch die Volte von Papandreou nun wieder heraus gekegelt worden. Wer nun im DAX Long ist, gehört eher zu den sogenannten „starken“ Händen die wissen was sie tun und so schnell nicht verkaufen. Das ist eine positive Grundlage, auf der Rallys aufgebaut werden.
4. Das allgemeine Sentiment ist durch die Geschehnisse in Griechenland nun wieder sehr negativ, auch das birgt Chancen. Mr. Market liebt es Dinge zu tun, die den maximalen Schmerz bei den Marktteilnehmern verursachen. Und was wäre besser, als all denen wegzulaufen, die nun aus Sicherheitsdenken an der Seitenlinie stehen.
Alles in allem bin ich also der Ãœberzeugung, dass der DAX im Bereich bei ca. 5700 eine gute Grundlage hat. Und wir von hier immer wieder Chancen auf massive Rallys haben. Allerdings glaube ich nicht, dass man diese Rallys einfach kaufen und liegen lassen kann, man muss vielmehr Gewinne schnell mitnehmen, denn der nächste Absturz kommt politisch induziert bestimmt. Zumindest bis zum Referendum oder einer anderen – heute nicht absehbaren – Auflösung des griechischen Dramas wird das so bleiben. Wer aber gute Nerven hat, kann in meinen Augen bei 5700 auch mittelfristige Positionen eingehen. Denn nach meiner Meinung wird der DAX nur dann wieder nachhaltig unter diese Marke tauchen, wenn Zweifel an der neu gefundenen Einigkeit und Ernsthaftigkeit der wichtigen handelnden Nationen aufkommen.
Um meine Meinung zu unterstreichen, möchte ich Ihnen auch einen Einblick in meine aktuelle Aufstellung im Investmentdepot geben. Ich bin Stand Heute Vormittag:
20% Long Deutsche Aktien
15% Long Internationale Aktien
10% Long Rohstoffaktien
15% Long Gold und Silber
40% Cash
Das heisst, ich bin 60% Long in einer mittelfristigen Sicht bis Jahresende – trotz Papandreou. Jeder möge seine eigenen Schlüsse daraus ziehen.
Und das ist keineswegs ein Widerspruch zu meiner Wut über das was uns die Griechen zumuten. Für die Frage eines sinnvollen Trades ist aber Wut kein Masstab. Sondern nur die Frage, was von dieser Wut im Markt nun schon eingepreist ist.
Zum Abschluss ist mir auch noch eine politische Aussage wichtig.
So verwerflich und unsolidarisch das Handeln Papandreous in meinen Augen auch ist. Langfristig bietet sich Europa durch diese Krise eine grosse Chance. Denn jedem Beobachter ist doch klar, dass die heutige EU mit ihrem Demokratie-Defizit und ihren Ungleichgewichten keine dauerhafte Zukunft hat. Zu grosser, schmerzhafter Veränderung bedarf es aber immer einer Krise, die grosse Schritte plötzlich erst möglich macht. Vielleicht sorgt diese Schuldenkrise als Katalysator dafür, dass wir vom jetzigen instabilen Zustand wieder in einen langfristig stabilen Zustand Europas überwechseln.
Das bedeutet entweder eine Rückkehr zu den Nationalstaaten mit eigenen Währungen, die sich wie zu Zeiten des EWR freundschaftlich verbunden sind. Das wäre in meinen Augen für Europa die zweitbeste Lösung, aber wenigstens eine stabile.
Oder die Vereinigten Staaten von Europa, mit einer echten und wirklich demokratisch legitimierten Zentralregierung, die für Aussenpolitik und Verteidigung alleine zuständig ist und im Bereich Finanzen und Wirtschaft den einzelnen Ländern einen verbindlichen Rahmen setzt. Für mich persönlich die ideale Lösung.
Vielleicht wird hier im Nebel der Schlacht also gerade Positives in Gang gesetzt, das unseren Kindern mal in der Welt helfen wird. Wenn die dann 2030 über Ihren Schulbüchern hocken, wird da vielleicht stehen, dass die Vereinigten Staaten von Europa Ihre Initialzündung durch die Schuldenkrise des Jahres 2011 hatten.
Schaun mer mal …….. (HS)
PS: und während ich diesen Artikel bei 5860 begonnen habe und dazwischen auch mal ausser Haus musste, schiesst der Markt durch die Decke und steht bei 6050. Das nennt man wohl Volatilität ….. Die Leser sollten sich darauf einrichten, dass uns solche Swings tagtäglich begleiten werden, mindestens bis zum Referendum in Griechenland oder einer andersartigen finalen Lösung.